Jahrestagung der Bahnhofsbuchhändler

Wohin fährt das Bahnhofssortiment?

9. Mai 2025
Matthias Glatthor

Seit 120 Jahren gibt es den Verband Deutscher Bahnhofsbuchhändler (VDBB) mittlerweile: Bei der Jahrestagung in Berlin – Motto "Hotspots der Kommunikation" – ging es etwa um die Transformation der Mediennutzung und Auswirkungen auf die Bahnhofsbuchhandlungen. Einer der Gastredner war der Tübinger OB Boris Palmer. Was es mit Journalismus für Erwachsene auf sich hat, erläuterte "Cicero"-Chefredakteur Alexander Marguier.

Boris Palmer bei seinem Vortrag auf der Jahrestagung des Verbands der Deutschen Bahnhofsbuchhändler

Los ging es bei der Jahreshauptversammlung des VDBB am 5. Mai mit der nicht öffentlichen Mitgliederversammlung im Berliner JW Marriott Hotel. Dabei wurde, wie berichtet, der Vorstand mit Torsten Löffler (1. Vorsitzender) und Daniel Seidl (Schatzmeister) im Amt bestätigt.

Andrea Thilo moderierte trotz Bandscheibenvorfall locker durch das Programm am zweiten Tag, stellte den Vortragenden die interessante Fragen

Am zweiten Tag, den 6. Mai, kam man zur öffentlichen Jahreshauptversammlung erstmals in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg im Berliner Botschaftsviertel südlich des Tiergartens zusammen. Der neue Ort kam bei allen, auch den Teilnehmenden der Fachausstellung, sehr gut an, wurde allseits gelobt. 

Für das Programm, das Andrea Thilo erneut souverän moderierte, hatte sich der Verband ins Zeug gelegt: Die Keynote hielt Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, zum Thema "Die Transformation der Mediennutzung verändert die Gesellschaft" – zahlreiche Statistiken auf dem Screen unterstützten ihre Aussagen. So sei etwa der Anteil derjenigen, die nie gedruckte Zeitschriften lesen von 6 % (2004) auf 18 % (2024) gestiegen. "Viele Verlage sind in einer sehr herausfordernden Situation", so Köcher. Dagegen würden digitale Auflagen steil steigen. Der Pferdefuß dabei: Kostenpflichtige Ausgaben würden nur von einer Minderheit genutzt. Andererseits ist nach Köchers Ansicht der Buchmarkt "quicklebendig". Aber sie weist auch darauf hin, dass durch Social Media und Internet das Lesen längerer Texte verlernt werde. Kinder müsse man zu Geduld und Konzentrationsfähigkeit erziehen: "Tägliches Lesen, mindestens eine halbe Stunde, sollte Inhalt an der Schule sein", so die Marktforscherin. 

Und für das Buchsortiment hat sie einen Ratschlag: Hier müsse man ganz nah dran sein an Themen, die gerade hochgezogen werden. Man müsse Hypes verfolgen, wie gerade den um Literatur für junge Frauen in den Bereichen Romance, New Adult oder Romantasy.

Allerdings: Unter den 50 bestverkauften Büchern im deutschen Bahnhofsbuchhandel 2024, die die Zeitschrift "DNV Der neue Vertrieb" ermittelt hat, findet sich noch kein Titel aus New Adult & Co. Hier ist also noch Luft nach oben.

Die Top 3 2024:

  • Ferdinand von Schirach: Nachmittage (btb; TB-Ausgabe)
  • Sebastian Fitzek: Mimik (Knaur; TB-Ausgabe)
  • Caroline Wahl: 22 Bahnen (DuMont; TB-Ausgabe)

Was ist wichtig für die Aufenthaltsqualität im Bahnhof? Ergebnis der Umfrage auf der VDBB-Jahresversammlung

In ihrem Grußwort betonte Sarah von Nordheim, Leiterin Vertrieb Commercial DB InfraGO AG, dass der Bahnhofsbuchhandel weiterhin eine tragende Säule für den Einzelhandelsmix im Bahnhof ist – er verkörpere Vielfalt, Regionalität und Wohlfühlen. Gleichzeitig erläuterte sie, welche Anstrengungen zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität unternommen werden könnten. Hier hatte sie einige schöne Beispiele parat, etwa einen Orell Füssli-Laden im Berner Hauptbahnhof mit Café. Einen Faden, den Andrea Thilo aufgriff: Per QR-Code kamen die Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine Umfrage-Seite, wo sie die Frage "Wie sorgen wir für mehr Aufenthaltsqualität an Gleis und Gate?" beantworten konnten. Die Vorschläge wurden in einer Wolken-Grafik nach Anzahl der Nennungen gewichtet, und später gezeigt (siehe Abbildung oben) – vorn lagen: Sauberkeit und Sicherheit.

"Wir haben Hausaufgaben als Deutsche Bahn", hatte bereits von Nordheim konstatiert, "diese gehen wir an". Damit man nicht jedes Jahr wieder über Zukunft reden müsse, sondern darüber, dass man etwas tut. Aber "wir müssen uns verändern", so die Bahn-Managerin, "damit wir am Ende nicht das Blackberry, die Kodakfilme sind". Man brauche eine positive Costumer Journey, um Offline- und Online-Welten zu verbinden. Für die Bahn wies sie zudem auf das Sanierungsprojekt der "Zukunftsbahnhöfe" hin, im Schnitt würden dabei 100 Bahnhöfe im Jahr umgestaltet. Hier laufen die Zuschüsse durch den Bund 2027 allerdings aus, die Bahn setzt darauf, das die neue Regierung die Finanzierung verlängern werde. 

"Das lohnt sich für beide Seiten"

Auch der frisch und einstimmig im Amt bestätigte erste Vorsitzende des VDBB, Torsten Löffler, sprach die Herausforderungen an, die die "schöne neue Medienwelt" mit sich bringt: "Wer alles mit dem Mobilgerät erledigt und in jeder freien Minute von Push-Mitteilung zu Push-Mitteilung wischt, muss sich ganz bewusst Zeit nehmen, um sich in längere Texte zu vertiefen, oder jemandem die ungeteilte Aufmerksamkeit schenken zu können." Zudem appellierte er an Bundesregierung, die erforderlichen finanziellen Mittel bereit zu stellen, um den Investitionsstau bei der Bahn abzubauen. Der Travel Retail werde ebenfalls investieren: "in moderne, hell erleuchtete und doch energieeffiziente Filialen, in die Mieten für gut gelegene, attraktive Geschäftsräume in Bahnhöfen und Flughäfen, in freundliche und kompetente Mitarbeiter, die auch zu später Stunde für die Kunden da sind, in eine ansprechende Warenpräsentation. Kurz: in eine Atmosphäre zum Wohlfühlen und zum sicheren Verweilen."

In der Umsatzentwicklung des Bahnhofsbuchhandels spiegele sich die Transformation der Mediennutzung wider, schnitt Löffler ein wichtiges Thema an. In Pressesortiment sei die Umsatzentwicklung weiter leicht rückläufig, der Buchbereich wachse oder halte sich zumindest stabil. Vor Herausforderung stelle die Bahnhofsbuchhändler die Kostenentwicklung in Bereichen wie Energie, Personal und Dienstleistungen. Hinzu komme ein immer größerer bürokratischer Aufwand durch Gesetze und Verordnungen. Mit den richtigen Ergänzungssortimenten lasse sich – neben den Kernsortimenten Presse und Buch – aber vieles kompensieren, so Löffler. Und ein Lob ging an die Buchverlage: Diese seien viel intensiver als die Presseverlage im Gespräch mit dem Bahnhofshandel über gemeinsame Aktionen, über Verkaufsförderung am POS, über begleitende Werbekampagnen und besondere Kundenerlebnisse. "Das lohnt sich für beide Seiten."

Einige Zahlen zur Umsatzentwicklung nennt der Geschäftsbericht 2024 des VDBB. Im vergangenen Jahr gab es circa 485 Verkaufsstellen des Bahnhofs- und Flughafenbuchhandels an 320 Standorten. Der Gesamtumsatz aus dem Verkauf von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern habe sich 2024 auf circa 210 Millionen Euro erhöht. Die Pandemie sei somit noch nicht vollständig überwunden, auch sei aufgrund der Marktentwicklung im Bereich der gedruckten Presse davon auszugehen, dass diese Umsätze weiter absinken. Die Umsätze im Bereich Buch seien 2024 um circa 3 % gestiegen, der erhebliche Anstieg aus dem Vorjahr in Höhe von circa 15 % konnte somit nicht wieder erreicht werden. Im Bereich Convenience seien die Umsätze um rund 8 % gestiegen, so dass sich die Sortimentsverschiebung in diesem Bereich verstärke.

Boris Palmer, bereit zum Signieren

Den Anfang nach einer kleinen Pause, in der erste gescheiterte Wahlgang für Friedrich Merz zum Bundeskanzler bekannt wurde, machte Alexander Marguier, Chefredakteur der Zeitschrift "Cicero", der angesichts der Ereignisse im Bundestag meinte: "Ich glaube, ich habe heute noch viel zu tun." Aber in seinem kurzen Vortrag ging es um "Cicero", deren Absatz sich von 2023 auf 2024 um fast 25 % gesteigert habe. Wobei der Bahnhofsbuchhandel im Einzelverkauf der mit Abstand wichtigste Partner sei. Marguier ordnete "Cicero" als "bürgerlich-liberal" ein, teilte gegen den seiner Meinung nach Haltungs-Journalismus anderer Medien aus, und nannte als ein Erfolgsrezept seiner "meinungsoffenen" Zeitschrift: "Cicero macht halt Journalismus für Erwachsene". Ein Zitat, das man am Nachmittag öfter in Gesprächen hörte. Marguier hatte ordentlich Lob für die Bahnhofsbuchhändler parat: "Bei ihnen ist die Meinungsvielfalt vorhanden", der deutsche Bahnhofsbuchhandel gehöre für ihn zum Weltkulturerbe. "Sie sind die Logistiker der Demokratie!"

Ein mitreißende, 60-minütige Frischzellenkur von Ratgeber-Bestsellerautorin und Schlagfertigkeitstrainerin (für Frauen) Nicole Staudinger schloss sich an. Schlagfertigkeit sei wichtig, aber sie löse keine Konflikte. Einer der vielen Tipps, die sich einprägten: "Man kann nicht erwarten, das einem jemand zuhört, wenn das eigene Selbstbild nicht stimmt." Dabei hätte sie bewusst die wenigen Frauen im Saal angeschaut, so Staudinger, und fügte dann an: "Sie sehen ja, dass wir mehr Frauen brauchen. Auch in Führungsebenen."

Dem Schlusspunkt des Vormittags setzte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der sein neues Buch "Wir machen das jetzt!" (Quadriga; ET: 25. April), das er zusammen mit Lisa Federle geschrieben hat, vorstellte. Er präsentierte Beispiele des bürokratischen Irrsinns bei der Umsetzung von Projekten, und wünschte für die Kommunen mehr Entscheidungsmöglichkeiten vor Ort. Denn, so Palmer: "Ein dysfunktionaler Staat treibt die Leute auf die Palme." Ein Staat, der nichts mehr hinkriege, das bringe die Leute zum Aussteigen. Das sagte er auch mit Blick auf den ersten gescheiterten Wahlgang zur Kürung von Friedrich Merz zum Bundeskanzler, der am Vormittag gemeldet wurde. Das beste Mittel gegen die AfD sei gutes regieren, das Land voranbringen. Im Anschluss signierte Palmer sein Buch am Stand von Bastei Lübbe.

Zur Fachausstellung am Nachmittag hatten sich Verlage – von der Edition Tingeltangel bis zur Penguin Random House Verlagsgruppe – und Non-Book-Anbieter eingefunden, die zeigten, was den Bahnhofsbuchhandel ausmacht. Beim Buch lagen oft Kimis und Unterhaltungsliteratur aus, weiter New-Adult-Titel. Hinzu kamen Rätselhefte, Wichtel, Lesehilfen, technisches Equipment und Grußkarten.  

Thomas Endl war mit seiner Edition Tingeltangel erstmals dabei – und hatte sein Verlagslogo auf dem Kopf