Börsenblatt Young Excellence Award 2025

Jana Lissek: Perspektiven zeigen

26. Juni 2025
Jona Piatkowski

Fasziniert von der französischen "Offenheit zur Welt" will Jana Lissek Brücken bauen: in andere Länder, über den Messetisch, für Young Professionals und mit vielfältigen Lebenswelten. Die Foreign Rights Managerin von Diogenes ist nominiert für den #yeaward25.

Jana Lissek

Jana Lissek

Übersetzungen als politischer Akt

"Es ist meine feste Überzeugung, dass literarische Übersetzungen nicht nur kulturelle Konsumgüter sind, sondern das literarische Übersetzen eine kulturelle Praxis ist, die über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus, einem politischen und sozialen Akt gleichkommt: Es ist ein Engagement. Mein Ziel ist es, ehrliches Interesse zu wecken für die verschiedenen Lebenswelten und Perspektiven, die diese Geschichten aus aller Welt mitbringen – und dadurch mehr Empathie und Toleranz in der Gesellschaft fördern." Mit Lust auf Leben und die offene, vielfältige Welt lockt es die gebürtige Norddeutsche Jana Lissek in den Süden: "Damals habe ich meine Abi-Mitschüler:innen gar nicht verstanden, die in Kiel bleiben wollten – ich habe es fast nicht mehr ausgehalten, endlich loszuziehen." Und das ist sie: nach Frankfurt, nach Toulouse und Pau in Südfrankreich und nach Zürich.

 

Es ist meine feste Überzeugung, dass literarische Übersetzungen nicht nur kulturelle Konsumgüter sind, sondern das literarische Übersetzen eine kulturelle Praxis ist.

Frankophilie

Mit 15 Jahren beginnt Jana Lissek französische Literatur zu lesen. "Ich habe vermutlich die Hälfte von Victor Hugos ‚Notre-Dame de Paris/Der Glöckner von Notre-Dame‘ nicht verstanden, aber ich war begeistert. Es gibt nicht eine positive Figur in Hugos Roman – die sind alle von Grund auf kaputt und furchtbar." Sie lacht. Über "Les Misérable/Die Elenden" und Jean-Paul Sartre und einem Praktikum am Theater findet sich Jana Lissek schließlich in Frankfurt im Bachelor der Allgemeinen Vergleichenden Literaturwissenschaft und Romanistik wieder. Um ihre Sprachkenntnisse aufzubessern reist sie à la workaway nach Frankreich, arbeitet als Tourguide, Campingplatz-Rezeptionistin und Kellnerin. "Bei den Übersetzungen von französischen Klassikern hat mir das zwar nicht geholfen, aber ich habe Land und Leute kennengelernt – und wollte immer wieder dorthin."

Der Melting-Pot hat es ihr angetan: "Mir ist klar geworden, dass Frankreich nicht nur Frankreich ist. Alles, was man heute mit dem zurecht umstrittenen Begriff der "Frankophonie" bezeichnet, dieser kulturelle Raum, der in der Kolonialzeitentstanden ist, ist extrem divers und vielfältig." Gerade in Kultur, Musik und Literatur gebe es viele verschiedene Stimmen: "Es gibt so viele Communities aus Nordafrika, Senegal, Kamerun, Elfenbeinküste, der Karibik, des indischen Ozeans, Polynesien, aber auch Brasilien, Kolumbien und viele mehr, die miteinander leben   In Frankreich wird das ganz anders gelebt, als in Deutschland. Als ich das gesehen habe, dachte ich mir: 'Na, hier ist sie ja, die Welt!'"

Diverse Lebenswelten

Im deutschen Buchmarkt sieht das so aus: Gerade einmal 14,5% aller Novitäten in Deutschland seien Übersetzungen – davon wiederum stammten ca. 60% aus dem englischsprachigen Raum. "Von 14,5% nur 40% für alle anderen Sprachen – das ist nicht viel. Dabei sind diese Bücher unsere Brücken zwischen den Kulturen." Der  Literaturbetrieb müsse diverser und inklusiver werden. "Die literarische Welt  der DACH-Region könnte so sehr davon bereichert werden."

2020 erlebte man in Deutschland den Mord an George Floyd als ein gesellschaftliches Aufwachen: "Auf einmal hat man entdeckt, dass es strukturellen Rassismus auch in Deutschland gibt". Doch die aktuellen Tendenzen seien nicht mehr so antirassistisch wie vor 5 Jahren: "Mit dem nationalen und internationalen Rechtsruck, fühlt es sich manchmal so an, als ob die Gesellschaft heute Antirassismus, Diversität nur als "Trend" ansieht, der dabei ist vorbeizugehen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Menschen, Geschichten und Lebenswelten nun mal da sind: Sie sind Erfahrungen aus der Wirklichkeit von Menschen, die natürlich zur Gesellschaft gehören und die sich auch in Büchern widerspiegeln müssen. Meiner Meinung nach haben auch Verlage eine gewisse Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und man darf nicht vergessen, bei aller Wirtschaftlichkeit, auch mutig zu bleiben."

Jana Lissek blickt wachsam auf die Entwicklungen in der Literaturbranche: "Durch den Kontakt mit Verlagen aus anderen Ländern kriegen wir Einiges mit, wie sich auch geopolitische Ströme auf die Kulturbranche auswirken." Mit Blick auf Fördergelder und Kulturdefinitionen warnt sie: "Bald könnte in Frage gestellt sein, wer überhaupt noch Kultur machen darf."

Von 14,5% nur 40% für alle anderen Sprachen – das ist nicht viel. Dabei sind diese Bücher unsere Brücken zwischen den Kulturen.

Berufliche Home-Base

Post- und dekoloniales Vokabular und Theorien bringt sie aus ihrem Master Psychoanalyse, Philosophie und politische Wirtschaft mit: "Der Studiengang war ziemlich einzigartig, in der Kombination der Fächer und auch darin, wie politisch er war." An der Université Jean Jaurès in Toulouse stellt sich Jana Lissek Fragen wie "Wie können wir Wirtschaft anders, philosophisch denken?": "Ich habe unglaublich viel gelernt, neue Impulse bekommen, die Welt oder auch Güter, insbesondere Kulturgüter, anders zu sehen."

Dabei war der Master durchaus eine Herausforderung: schon inhaltlich, mit lauter ihr fremden Disziplinen, dann alles auf Französisch, und, nach dem ersten Semester, wegen Corona im Fernstudium. "Das war keine glorreiche Zeit, aber eine produktive. Nicht cool, aber ich habe es geschafft." Jana Lisseks Lachen klingt auch hier herzlich und authentisch.

Und es hat sich gelohnt: Im anschließenden Volontariat bei den S. Fischer Verlagen zurück in Frankfurt kommen ihr die Kompetenzen und Kenntnisse zugute. "Meine Zeit im Lektorat bei Fischer war ein Augenöffner! Ich habe gelernt, wie man das Potential von Projekten einschätzt, Zielgruppen ausmacht und habe Einblicke ins Marketing bekommen. Und vor allem habe ich das Lektorieren gelernt, die Textarbeit selbst – und die Zusammenarbeit mit Autor:innen, Übersetzer:innen, Agent:innen und Scouts." Bei Fischer wird Jana Lissek klar: "Die Buchbranche ist meine berufliche Heimat und die Verlagswelt soll meine Home-Base werden."

Die Buchbranche ist meine berufliche Heimat und die Verlagswelt soll meine Home-Base werden.

Highlight Buchmesse

Jetzt sitzt sie "auf der anderen Seite vom Messetisch" – als Foreign Rights Managerin bei Diogenes hat Jana Lissek mit vielen verschiedenen Menschen zu tun, bekommt Einblicke in die Buchmärkte anderer Länder, deren Kulturen und Kontexte. "Die Frankfurter Buchmesse ist immer das Highlight des Jahres – nicht nur für den Lizenzhandel und das 'Big Business', sondern als besonderer Moment, zu dem die gesamte Branche zusammenkommt. Man kann die Menschen sehen und sich mit ihnen unterhalten, zu denen man sonst vielleicht nur Mailkontakt hat – das gibt mir Energie für ein ganzes Jahr." Die braucht es, denn Jana Lisseks Job ist temporeich: "Es passiert Vieles, und Vieles sehr schnell – aber das kommt meinem Gemüt zugute." Sie lacht. Ihr gefällt die Herausforderung.

Wie spannend und abwechslungsreich ihre Arbeit ist, hat sie auch den Hosts des beliebten NDR-Podcasts eat. READ. sleep erklärt.

 

Im Austausch

"Allzu lange bin ich selbst noch gar nicht in der Branche, aber ich habe schon viele Menschen sich wieder verabschieden sehen. Es fehlen die Strukturen, um junge Menschen in der Branche zu halten." Im Kleinen müsse angefangen werden, Vernetzungsmöglichkeiten für Berufseinsteiger:innen und Young Professionals zu schaffen. "Hier in Zürich gibt es einen Stammtisch der Jungen Verlags- und Medienmenschen und ein regelmäßiges Pizzaessen initiiert vom SBVV." Jana Lissek ist Mitglied bei der Literaturgenossenschaft ZoraLit und lobt deren Konzept und Angebote zu Vernetzung, Mentoring und Sprechstunden. "Es geht darum, als Berufseinsteiger:in Mut und Selbstbewusstsein zu entwickeln und die Lust, in der Branche zu bleiben."

"Dieses Jahr war sehr aufregend für mich – und wir sind noch nicht mal im Juli!" – Befördert von der Juniorstelle zur vollwertigen Foreign Rights Managerin, zurück von ihrer ersten großen Reise nach Südostasien und vom Schweizer Buchhandel zur Branchenleaderin von morgen erklärt: Jana Lissek fühlt sich angekommen. Nach Jahren, in denen sie Vieles neu gemacht und gelernt hat, hat sie jetzt wieder Zeit und Energie für – genau – mehr Neues. Tanzen, Wandern und Aquarellmalen beispielsweise. "Ich möchte im Kollektiv literarische Events organisieren, die Interessierten die Möglichkeit zum Austausch geben, Bücher und Autor:innen zu entdecken." So denkt eine Branchenleaderin von morgen: "Das Tolle an der Buchbranche ist, dass wir alle Bücher cool finden und man allein über diese große Gemeinsamkeit einander versteht. Aber da geht noch mehr – wir können es noch geselliger machen."

 

Kurzvita

Jana Lissek
1992 geboren in in Rendsburg bei Kiel
2012-2018

Bachelor-Studium Allgemeine & Vergleichende Literaturwissenschaften und Romanistik an der Goethe Universität Frankfurt

2015-2016 Erasmus-Aufenthalt Französische Literaturwissenschaften an der Université de Pau et des Pays de l’Adour in Pau
2016 Ausbildung zur interkulturellen Übersetzerin beim Deutsch-Französischen Jugendwerk in Narbonne
2019-2021 Master-Studium Psychoanalyse, Philosophie, politische Wirtschaft an der Université Jean Jaurés in Toulouse
Seit 2022

(bis 2025: Junior) Foreign Rights Manager bei Diogenes in Zürich

2025 CAS (Certificate of Advanced Studies) Developing Cultural Organisations der Leuphana Professional School und Universität Lüneburg

 

Über den Börsenblatt Young Excellence Award 

Der Börsenblatt Young Excellence Award ehrt herausragende Persönlichkeiten bis 39 Jahre, die in der Buchbranche etwas bewegen – sei es in einer Buchhandlung, im Verlag, bei einem Dienstleistungsunternehmen oder in Selbständigkeit. Das Fachmagazin Börsenblatt vergibt die Auszeichnung zusammen mit den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe: Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Frankfurter Buchmesse, Mediacampus Frankfurt und MVB. Die future!publish unterstützt den #yeaward25 als Partner. 10 Young Professionals sind nominiert: www.young-excellence-award.de